Das Wegkreuz des Hofes Gretzmann in Sudenfeld

Von Johannes Brand

Am 13. Juni dieses Jahres wurde in einer schönen und würdigen Feierstunde unter Beteilung der Stifterfamilie Gretzmann, des MGV Sudenfeld, der ganzen Bauerschaft Sudenfeld und vieler weiterer Gäste das Wegkreuz an der Ecke Gretzmanns Esch/Sudenfelder Straße durch Pastor Wolfgang Langemann wieder eingesegnet. Vorangegangen war eine intensive und umfassende Restaurierung des Kreuzes durch den Bad Iburger Restaurator Werner Godt.

Religiöse Zeichen im öffentlichen Raum gab und gibt es zu allen Zeiten und in allen Religionen. Wegkreuze kennen wir seit der Christianisierung auch in unserem Raum. Steinkreuze wurden schon im frühen Mittelalter als Sühnezeichen nach Mord- und Todschlag errichtet. Sie markierten auch Standorte ehemaliger Kirchen oder als Predigtkreuze Missionsplätze aus der Zeit der Germanenmission durch irische Mönche. Pestfriedhöfe waren gekennzeichnet durch Pestkreuze. Gerichtsorte unter freiem Himmel wurden durch Gerichtskreuze angezeigt. Nach der Stilllegung von Friedhöfen wurden Grabkreuze als Hofkreuze neu aufgestellt In der Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg wurden Weg- und Hofkreuze zu Kennzeichen katholischer Regionen, oft waren sie Ziele von Prozessionen. In Gegenden wo sinnenfreudige katholische und eher innerliche, nach außen hin nüchterner auftretende evangelische Volksfrömmigkeit aufeinander trafen, wie im Osnabrücker Raum, konnte das auch zu Konflikten führen, die zeitweise zum Verbot der Neuerrichtung von Wegkreuzen führten. Nachdem sich die konfessionellen Gegensätze beruhigt hatten, wurden im 19. und 20. Jahrhundert Kreuze und Bildstöcke ausschließlich als Aufforderung zu Gebet und Frömmigkeit errichtet. Dabei hat aber jedes religiöse Wegzeichen seine eigene Geschichte.

Als am 7. März 1903 im Dom zu Osnabrück Theodor Gretzmann (1876 – 1952) aus Sudenfeld zum Priester geweiht worden war, war das für die ganze Familie und die Bauerschaft ein herausragendes Ereignis. Für die Mutter des Neupriesters, der „Frau Colonia [=Bäuerin] Gretzmann in Sudenfeld“, war es der Anlass aus Dankbarkeit ein Wegkreuz errichten zu lassen. Lisette Gretzmann, geb. Wibbelsmann  lebte von 1844 bis 1904. Sie hatte 1870 den kinderlosen Witwer Eberhard Gretzmann (1807 – 1879) geheiratet und war selbst bereits neun Jahre später Witwe. So stand sie vor der schweren Aufgabe, ihre kleinen Kinder alleine aufzuziehen. Es ist verständlich, dass sie voller Dankbarkeit war, als sie feststellen durfte, dass die Erziehung ihrer Kinder so gut gelungen war.

Mit der Herstellung des Kreuzes wurde der Osnabrücker Bildhauer Lukas Memken (1860-1934) beauftragt. Memken wurde in Herßum (heute Samtgemeinde Herzlake) geboren, erhielt seine Ausbildung 1874-1879 beim Bildhauer und Maler Everts in Münster und ließ sich 1887 in Osnabrück nieder, wo er an der Johannisstraße eine eigene Bildhauerei beim Tischler Schlie gründete. Nach erfolgreichem Start kauft er 1901 ein Haus an der Pfaffenstraße, an das er ein eigenes Atelier anbaute. Seine anerkannte Stellung in der Osnabrücker Kunst- und Kulturszene zeigt sich auch darin, dass er Mitbegründer der St.-Lukas-Gilde war, zu der  Bildhauer, Architekten, Maler, Glasmaler und Orgelbauer  gehörten. Die meisten seiner Werke gehören zum Bereich kirchlicher Kunst. So arbeitete er in Osnabrück vor allem auch für seine Pfarrkirche St. Johann, für die er den gotischen Altar restaurierte und den so genanten Familienaltar (heute im Turmbereich aufgestellt) schuf. Sein vielleicht bekanntestes  Werk in Osnabrück war der Schäferbrunnen am Rosenplatz. (Sein Schäfer aus Bronze wurde im Krieg eingeschmolzen und später durch einen steinernen ersetzt.) Viele seiner Werke stehen in den Kirchen des Emslandes und des Hümmlings. Zu prüfen ist noch, ob von ihm auch das ebenfalls 1903 entstandene Wegkreuz in der Großen Heide (heute auf dem Kirchhof der ehemaligen St.-Martinus-Kirche) und das Hofkreuz Witte-Elixmann aus dem Jahre 1907 stammen. Stilistische Vergleiche legen das nahe. Nahe liegt auch, dass der damalige Pfarrer von St. Martinus, Antonius Tappehorn, in allen drei Fällen bei der Auswahl der Inschrift mitgewirkt und den Kontakt zu dem Künstler hergestellt hat.

Die Kunstgeschichte kennt eine Fülle von Darstellungen des gekreuzigten Jesus: als König, als Sieger über den Tod, als Leidender mit ausgemergeltem Körper, der über und über mit Wunden bedeckt ist, als Toter mit gebrochenen Augen, als ein sich im Todeskampf Aufbäumender, der ruft: “Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“, als der in ruhiger und ausgeglichener Haltung am Kreuz hängende Tote. Vor allem die beiden letzten Darstellungstypen sind seit dem 17. Jahrhundert vorherrschend geworden. Das Sudenfelder Kreuz gehört klar zum letztgenannten Typ: Memken hat einen schönen männlichen, erhaben aufrecht stehenden Korpus mit erhobenen Armen geschaffen, an dem eigentlich nichts an  Leiden und Tod erinnert. Nur der nach vorne rechts gesenkte Kopf und die geschlossenen Augen weisen ihn als Toten aus.

Zur Deutung ist es wichtig, die zunächst etwas rätselhafte Inschrift im Sockel des Kreuzes zu beachten: „Gedenke deines Löse-preises. I Petri I.“ Das ist offensichtlich eine Kurzfassung der Verse 18 und 19 aus dem ersten Kapitel des ersten Petrusbriefes,  hier zitiert aus der Übersetzung von Fridolin Stier: „Ihr wisst ja, daß ihr nicht durch Verderbliches – Silber oder Gold – erlöst wurdet von eurem von den Vätern überkommenen nutzlosen Lebenswandel, sondern um den Wert des Blutes des Messias, als des Lammes ohne Tadel und Makel..“ Nicht die Deutung des Todes Christi als Opfer- oder Sühnetod, sondern der Gedanke der Erlösung zu einem anderen Leben steht im Petrusbrief im Vordergrund: Durch die Auferstehung ist den Menschen eine Hoffnung auf ewiges Heil geschenkt. Und das muss Konsequenzen haben für das Leben im Diesseits. So heißt es auch in Vers 22 bereits: „Durch den Gehorsam gegenüber der Wahrheit habt ihr euer Leben Gott geweiht für eine Bruderliebe ohne Blenderei. Mit reinem Herzen liebt einander – inständig.“ Dazu also soll dieses Kreuz den Passenten und Betrachter auffordern.

Das Kruzifix ist umgeben von einem Blumenbeet, dass wiederum von einem kunstvollen schmiedeeisernen Zaun umgeben ist. Aufwändig ist er mit pflanzlichen Ranken- und Blütenmotiven versehen, die senkrechten Stäbe tragen Lanzenspitzen in Kreuzform. Nach der  Restaurierung gibt er dem Wegkreuz wieder seinen attraktiven Rahmen. Insgesamt zeugen die Erhaltungsmaßnahmen an Kreuz, Korpus und Gitter von verantwortungsvoller Denkmalpflege.

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