Der Zeuge

Jürgen Leonhard

Ferdinand Joseph Gösmann, der Vorsitzende des Kapellenvereins, hat in Pfarrer Hermann Scheipers (geboren 1913) aus Ochtrup den letzten noch lebenden Dachau-Priester gefunden. Pfarrer Scheipers war zusammen mit Pfarrer Gustav Görsmann aus Gellenbeck im KZ Dachau gefangen. Ebenso wie Pastor Görsmann in den französischen Zwangsarbeitern keine verachtenswürdigen Unmenschen sah und ihnen beistand, handelte auch Pfarrer Scheipers an polnischen Zwangsarbeitern und hielt mit ihnen Gottesdienst, was beiden Priestern zum Verhängnis wurde und ihnen die unmenschliche Zwangshaft im Konzentra-tionslager Dachau eintrug.
Am 11. Februar 2005 schreibt Pfarrer Scheipers in einem Brief an F. J. Gösmann:

Herzlich danke ich Ihnen für die Übersendung des Sonderdrucks aus dem Schweizerischen Kath. Sonntagsblatt und vor allem auch der Familienzeitung von 1985 über Pfarrer Gustav Görsmann, der zusammen mit mir im KZ Dachau gelitten hat und dort im September 1942 gestorben ist.

Außer seinen ergreifenden KZ-Briefen haben mich auch die Beiträge von Leo Wiemker und Msgr. Pruszkowski (ebenfalls Dachau-Priester) interessiert. Beide habe ich sehr gut gekannt, und Leo Wiemker habe ich noch vor seinem Tod besucht. An Pfarrer Görsmann kann ich mich gut erinnern, denn er war mit mir nicht nur in der gleichen Baracke, sondern ich habe auch mit ihm 1942 auf der SS-Plantage gearbei-tet. Er kam auf unseren Block, als wir die noch von Bischof Wienken - im Auftrag der deutschen kath. Bischöfe - durch Verhandlungen mit dem Reichssicherheitshauptamt Berlin erreichten Erleichterungen (sogar einige Monate Arbeitsbefreiung) genießen konnten. Diese wurden aber schon damals sowohl durch die SS als auch durch die kommunistischen Funktionshäftlinge zunehmend unterlaufen und ab 1942 (außer der Kapelle) abgeschafft. Bereits im Winter 41/42 gehörten die meisten von uns mit rund 1000 Priestern zum Arbeitskommando „Plantage". Es war das schlechteste Arbeitskommando, das einzige, auf dem es keine „Brotzeit" gab (eine Scheibe Brot mit etwas Wurst oder Margarine), das Kostbarste für unsere Ernährung, denn von den Wassersuppen konnte man nicht leben. Die SS und die Kommunisten im „Arbeits-einsatz" waren sich darin einig: das brauchen die Pfaffen nicht, das ist ja dort leichte Gartenarbeit.

Die Folge war: Im Jahr 1942 starben 730 Priester, davon 60 deutsche, und 336 als „Invalide" in der Gaskammer. Während ich schon im August 42 selektiert war (dann aber durch meine Schwester gerettet wurde), brach Gustav Görsmann im September zusammen und starb im Krankenrevier. Die Nachricht von seinem Tod habe ich erst später erhalten, denn im September 42 kam ich nochmals in höchste Lebensgefahr: Ich geriet in die geheime „Luftwaffenversuchsstation" (Test im Eiswasser, um festzustellen, bei welcher Körpertemperatur ein Mensch infolge Unterkühlung stirbt), aus der mich ein christlicher Kapo gerettet hat.

Mit Gustav Görsmann verbindet mich auch der Anlass zu unserer Verhaftung: die Seelsorge an Fremdarbeitern, bei Pfr. Görsmann an französischen, bei mir an polnischen Zwangsarbeitern. Bei uns beiden war die Seelsorge an den „Feinden" damals nur ein willkommener Anlass, die geplante „Endlösung der Kirchenfrage" nach dem „Endsieg" vorzubereiten. Gott schenkte mir dafür auch die schriftliche Bestätigung durch einen illegalen Einblick in meine Akten (der mir als Kalfaktor im Gefängnis möglich war). Dort hieß es in einem Schreiben: „Da Sch. ein fanatischer Verfechter der Kirche ist und deswegen geeignet, Unruhe in die Bevölkerung zu tragen, veranlassen wir KZ-Haft in Dachau."

Gustav Görsmann ist deshalb einer von den vielen Märtyrern der Kirche in der NS-Zeit geworden.

658 Priester haben in Deutschland in der Seelsorge für Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter ihr Leben aufs Spiel gesetzt, ohne dass sie dabei Märtyrer wurden. Märtyrer aber wurden 29, unter ihnen Gustav Görsmann.


Anmerkungen:

Der vorstehende Brief von Hermann Scheipers aus dem Jahre 2005 ergänzt in besonderer Weise die Sammlung von Dokumenten zum Leben Gustav Görsmanns, die zu seinem 50. Todestag im Jahre 1992 unter dem Titel „Hirte – Freund – Zeuge“ erschien.

Die Gaskammer in Dachau wurde nie in Betrieb genommen. Die sogenannten „Invaliden“ wurden im Jahr 1942 nach Schloss Hartheim in Österreich transportiert und dort in der Gaskammer der Euthanasieanstalt ermordet. Auch Scheipers war im August 1942 bereits  für einen dieser Transporte selektiert.

Dieser Beitrag ist neben vielen anderen in unserem Buch „Hagener Geschichten“ enthalten.

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