Die Glocken von St. Martin

Ludger Nobbe

Geschichtlich betrachtet ist die Glocke wesentlich älter als unser Christentum. Die älteste erhaltene Glocke stammt aus dem 9. Jahrhundert v. Chr. Sie wurde in Asien hergestellt, wo man die Kunst des Glockengießens schon sehr früh beherrschte.

In Europa verbreitete sich die Glocke erst im 6. bis 8. Jahrhundert n. Chr., aber es war nicht selbstverständlich, dass jede Kirche eine Glocke hatte. Im kath. Kirchenrecht wurde 1169 festgelegt, dass Kirchen und öffentliche Kapellen Glocken haben sollten, um die Gläubigen zum Gebet und Gottesdienst zu laden. Sie sollten geweiht (konsekriert) sein und ihr Gebrauch wurde ausschließlich von den kirchlichen Stellen geregelt.

Vermutlich hatte auch die erste urkundlich bezeugte Kirche in Hagen eine geweihte Glocke, aber das ist nirgendwo schriftlich belegt. In unserer Pfarrchronik ist die Geschichte der Glocken von Sankt Martin wie folgt niedergeschrieben:

1660    In der großen Glocke der Klöppel zerbrochen.

1661    5. September: Die beiden Glocken sind zwar geweiht, aber wo, weiß man nicht.

1723    Nachricht von den zu Hagen 1723 gegossenen Glocken. Die größte Glocke 1.800 Pfund, die mittelste 1.300 Pfund, die kleinste ungefähr 350 Pfund. An Gießlohn gegeben für 100 Pfund 3 Rthlr.
Anmerkung: 1 Rthlr (Reichstaler) = 21 Schillinge = 252 Pfennig.  
Tageslohn eines Handwerkers zur damaligen Zeit ca. 4 Schillinge.
Bemerkung: Der Glockenguß wurde erforderlich, weil die 2 alten Glocken bei dem ersten großen Brand von Hagen am 12.04.1723 zerschmolzen sind.

1723    „Den Weihbischoff, als die Glocken benediciret (geweiht) und seinem  
Capellano (Kaplan) = 8 Taler.”

1741    13. Aug.: Vertrag zwischen der Kirchengemeinde und Philipp König, Glockengießer zu Osnabrück. Dieser verpflichtet sich, die geborstene große Glocke von neuem zu gießen, jedes Zentner gegen 3 Taler Gießlohn zu liefern, Schmelzofen und Form auf eigene Kosten.

1754    25. Aug.: Vertrag zwischen der Kirchengemeinde und Moritz Rinker zu Ahler bei Wetzlar. Der Glockengießer verpflichtet sich, die geborstene und zerstückte große Glocke von neuem zu gießen, für jedes Zentner 3 Taler Gießlohn, den Schmelzofen wie auch die Form auf eigene Kosten; „Er steht ein Jahr und 6 Wochen vor alle Gefahr und Mangel".

Eine spätere Notiz lautet: „1754 ist die große Glocke von Meister Rinkert in Osnabrück eingegossen auf hiesigem Kirchhofe und hat vor dem Schmelzen 3.066 Pfund gewogen. Davon ist die kleinste gegossen, wiegt 587 Pfund, was übrig geblieben, wiegt 372 Pfund. meo tempore — zu meiner Zeit.“

1. Glockeninschrift: Deo sIt gLorIa, et honor sanCto MartIno episCopo. (1754)
2. Glockeninschrift: Deo aLMa parentI Josepho apIsCopo patronos sIt sIt saCrato. (1754)

Übersetzung der Glockeninschriften
1. Gott sei Ruhm, und Ehre sei dem hl. Bischof Martin.
2. Die Segenspendende (Glocke) sei Gott dem Schöpfer unter der Schirmherrschaft des Bischofs Joseph geweiht.

1774    16 Juli: Erlaubnis zur Abhaltung einer Kollekte in den kath. Kirchspielen. Aus anderen Kirchspielen kamen 35 Taler, 19 Schillinge, 5 Pfennige.

1780    22. März. Specification der Hagischen Glocken. „ Wenn die mittelste und kleinste Glocke in Osnabrück gegossen werden sollen, so nehme ich 125 Taler.
Alsdann wird verlangt: 8 Wagen schier blühen Holz, 40 Pfund rein ausgehecheltes Flachs, 10 Pfund Hanf, 30 Pfund Ungel, 12 Pfund Wachs.
Form, Schmelzofen und sonstige Materialien auf meine Kosten.
Nachtrag: In Hagen gegossen, 125 Taler Gießlohn.“

1789    15. Juli: Vertrag zwischen der Kirchengemeinde und Alexius Petit aus Starle Rixtel (Provinz Nordbrabant, Holland), aus den drei Glocken zwei zu gießen. Petit bekam für 9 Pfund einen Taler. Bis Münster hatte die Gemeinde das Erz zu liefern und die Glocken auch von dort abzuholen. Petit caviret (garantiert) für die zwei Glocken 4 Jahre. Die große Glocke hatte am oberen Rande eine Girlande aus Blumenvasen mit der Inschrift: „Gott zu loben Deine Macht sind wir drey in zwey geschafft. Alexius Petit me fecit 1789.“ (Alexius Petit hat mich geschaffen 1789). Am oberen Rande der kleinen Glocke befindet sich nur eine Girlande eingegossen. Auf beiden Glocken befand sich das Bild des hl. Martinus zu Pferde.

1917    16. Juni wurde eine Bronzeglocke zu Kriegszwecken abgeliefert, sie wog 746 kg. Es wurden bezahlt für ein Kilogframm 2,-Mark, dazu 1000,- Mark Grundgebühr.

1922    ES wurden 2 Glocken vom Bochumer Verein angeschafft.
Die eine von 1100 mm Durchmesser wog 589,5 kg, die zweite Glocke von 960 mm Durchmesser wog 443,5 kg. Die Glocken kosteten am 1. September 49.356 Mark. (Briefporto 75.000 Mark) zusammen 124.356 Mark. Sie haben die beiden Glocken billiger als heute ein Brief kostet. Bäumer (Domorganist) schrieb: Es ergibt sich mit der im Turm befindlichen alten Bronzeglocke ein verminderter Dreiklang
F - As - H. Die tiefste Glocke im Ton ist die alte Bronzeglocke.

Anmerkung: Die beiden Stahlglocken wurden in der Inflationszeit angeschafft. Die Geldentwertung nahm in kurzer Zeit solche Ausmaße an, daß der Kaufpreis der Glocken innerhalb weniger Monate geringer war als ein Briefporto.

1924    Über die Einweihung der neuen Glocken berichtete die Osnabrücker Volkszeitung am 10. Februar 1924:
„Zu einem eindrucksvollen, für alle Teilnehmer unvergeßlichen Ereignis gestaltete sich die Feier der Glockenweihe am heutigen Sonntag. Die Feier begann am Nachmittag um 3 Uhr in der Kirche mit der Festpredigt des Pastors Brümmer über den Text: Bereitet den Weg des Herrn, machet gerade seine Pfade. Nach der Predigt nahm die ganze Gemeinde vor der Kirche, wo die beiden Glocken an einem Gerüst aufgehangen waren, Aufstellung. Die feierliche Weihe vollzog Pfarrer Brümmer unter Assistenz von Kaplan Schnieders. Während der Weihe trugen die vereinigten Männergesangvereine das Lied „Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre" vor. Böllerschüsse trugen die Kunde von dem seltenen Ereignis weit hinaus über das Land. Mit feierlichem Tedeum und Segen in der Kirche fand die Feier ihren Abschluß“. Die größere der beiden Glocken trägt die Inschrift: ´Als Bronze zog ich in den Krieg, als Stahl verkünd' ich Christi Sieg. - Gewidmet den gefallenen Söhnen der Pfarre Hagen 1914 – 1918`.

Die Inschrift der kleinen Glocke besagt, daß die Kosten der Beschaffung der Glocken aufgebracht wurden durch freiwillige Spenden in der Pfarre Hagen im Jahre 1923, als Brümmer Pfarrer und Wekenborg Kaplan in Hagen waren. „Gegossen sind die Glocken vom Bochumer Verein Bochum. Erst wenn die Glocken im Turm bei ihrer noch vorhandenen größeren Schwester ihren Platz gefunden haben und der elektrische Antrieb fertiggestellt sein wird, werden wir ein schönes Geläute haben, Gott zur Ehre und den Gläubigen zur Mahnung und Lehre.“

Der Originaltext der Inschrift auf der kleinen Glocke lautet:
EX SUMTIBUS PAROCHAE HAGENSIS FUSA SUM ANNO 1923
BRÜMMER PAROCHO ET WEKENBORG SACELLANO

Deutsche Übersetzung:
Ich bin aus Geldmitteln der Pfarrei Hagen gegossen worden  
im Jahre 1923
Brümmer, Pfarrer und Wekenborg, Kaplan

Auch im 2. Weltkrieg betrachteten die damaligen Machthaber die in den Kirchtürmen aufgehängten Bronzeglocken als stille Materialreserve. Am 18.4.1942 mußte die letzte Bronzeglocke, die aus dem Jahre 1789 stammte, für Kriegs¬zwecke abgeliefert werden. Von diesem Ereignis gibt es Fotografien, die den ganzen Vorgang zeigen und auf denen die beteiligten Personen mit unserem damaligen Pastor Brümmer abgebildet  sind.

Im Jahre 1948 traf die erfreuliche Nachricht ein, daß die Glocke nicht eingeschmolzen war, sondern auf dem Glockenfriedhof in Hamburg–Stellingen wiedergefunden sei. Man holte sie zurück und sie nimmt seit dieser Zeit ihren alten Platz im Kirchturm der St.- Martinus-Kirche wieder ein.

Genauere Daten und Berichte konnten bisher schriftlich nicht festgehalten werden. Auch wird erzählt, daß einige beherzte Leute die Glocke absichtlich auf Rangierbahnhöfen ,,verschoben" haben sollen, um sie so vor den Schmelzöfen zu retten.

Quellennachweis: Brockhaus s. Glocken, Abschriften aus der Kirchenchronik,
Übersetzung der lat. Schriften Heinrich Schäpertöns
Anmerkung:             Dieser Beitrag ist neben vielen anderen in unserem Buch „Hagener  
Geschichten“ enthalten.

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