Evangelische Volksschulen in der katholischen Gemeinde Hagen

Heimat-Jahrbuch Osnabrücker Land 2017, S. 73-82:

Evangelische Volksschulen in der katholischen Gemeinde Hagen Konfessionelle Minderheiten und ihre Selbstverständnisse

Johannes Brand

Obwohl Hagen in der Capitulatio Perpetua Osnabrugensis von1650 den Katholiken zugeschlagen und in der Folgezeit rekatholisiert wurde, gab es seit dem 19. Jahrhundert dreimal die Gründung einer evangelischen Volksschule. Um ihre je eigenen Ursachen und Selbstverständnisse zu verstehen, ist es notwendig, zunächst einen kurzen Blick in die konfessionelle Entwicklung Hagens seit der Reformation zu werfen.

Die konfessionelle Entwicklung in Hagen seit dem 16. Jahrhundert

Unter dem Einfluss der Reformation drang neues Gedankengut auch schnell in die Pfarreien des Hochstifts Osnabrück ein. Schwankend oder wechselnd war der konfessionelle Status der Osnabrücker Bischöfe und unklar war die konfessionelle Situation in den Pfarreien. Christian Hoffman spricht von „konfessionellen Mischformen“:

„Die Pfarrer empfingen in der Regel zwar noch die katholischen Weihen, waren meist aber verheiratet und praktizierten im Gottesdienst lutherische Bräuche wie das Abendmahl unter beiderlei Gestalt […] Die Spendung der Sakramente war an vielen Orten nicht mehr üblich. In den Jahren 1624/25 vom katholischen Visitator befragt, bezeichneten die Pfarrer sich als ‚katholisch nach Art des Landes‘.“[1]

Entsprechend uneindeutig fiel auch für Hagen die Visitation des Generalvikars Lucenius am 2. Dezember 1624 aus. Pfarrer war Konrad Kruse seit 1590 als Nachfolger seines Vaters Hermann Kruse (Pfarrer in Hagen 1560-1590). Er war in Köln zum Priester geweiht worden. Er war verheiratet gewesen, nun Witwer und lebte mit seiner Haushälterin in eheähnlicher Gemeinschaft. Aus seiner Ehe hatte er mehrere Kinder. Aus dem Bericht des Lucenius:

„In der Kirche ist alles vernachlässigt und schmutzig. […] Das Sakrament des heiligen Abendmahles wird nach lutherischem Brauch in beiderlei Gestalt nach dem heiligen Meßdienst gespendet, der sonst wohl immer noch in seiner reinen Form befolgt wird, wenn man davon absieht, daß deutsche Psalmen während des Gloria, zum Zwischengesang, während der Opferung und auch sonst abgesungen werden. […] Von der heiligen Firmung und der letzten Ölung wird kein Gebrauch gemacht, von der Buße ausschließlich in der allgemeinen Form. […] Er hatte einige Bücher irrgläubiger Autoren in seinem Haus.“[2]

Die Bemühungen des damaligen Bischofs Eitel Friedrich von Hohenzollern und seines Nachfolgers Franz Wilhelm von Wartenberg um eine Rekatholisierung wurden zunichtegemacht durch die Besetzung des Hochstiftes durch schwedische Truppen im Jahr 1633. Hagen bekam wieder einen evangelischen Pastor. In den Verhandlungen über den konfessionellen Status des Kirchspiels Hagen nach dem Westfälischen Frieden gab es dann bei den Verhandlungen in Osnabrück und Münster heftige Auseinandersetzungen einer katholischen und der lutherischen Partei in Hagen.[3] Letztlich wurde dann aber aufgrund des Volmar‘schen Durchschlags von 1649 in der Capitulatio Perpetua entschieden, dass Hagen zu den katholischen Gemeinden gehöre.

Der katholische Pfarrer Theodorus Mauritius Buschmann, der vor und nach der schwedischen Besatzung (1628-1634 und 1650-1671) in Hagen amtierte, war um eine Rekatholisierung seiner Gemeinde bemüht. Im Visitationsbericht des Offizials Johann Bischopinck von 1653 heißt es über ihn und seine Gemeinde: „Der Pastor ist gewissenhaft und eifrig. Aber die Pfarrangehörigen scheinen böswillig und zu einem gewissen Teil noch immer von der Irrlehre angesteckt zu sein, er wird allmählich durch seinen Eifer den Durchbruch schaffen.“[4]

Ob es der Eifer Theodorus Buschmanns und seiner Nachfolger war oder ganz handfeste finanzielle Gründe waren, die die Rekatholisierung herbeiführten, mag hier offenbleiben. Jedenfalls waren die evangelischen Hagener verpflichtet ihre Stolgebühren an den katholischen Pfarrer zu zahlen, auch wenn sie ihre Kinder in der benachbarten Kirche zu Leeden evangelisch taufen oder dort ihre Toten begraben ließen und auch dort zu zahlen hatten.

Die Tabelle zeigt deutlich diese Entwicklung im Laufe des 18. Jahrhunderts. 1811 gab es in der Hagener Obermark[5] nur noch sieben evangelische Einwohner. Die in der Niedermark wohnenden 102 Evangelischen waren überwiegend Mitglieder der evangelisch-reformierten Glaubensgemeinschaft. Ursache ist die Hörigkeit einiger Höfe im Westen Hagens – das Vollerbe Osterhaus und die Halberben Nollmann und Stramann – an das Stift Leeden beziehungsweise der Einfluss des benachbarten reformierten Grafschaft Tecklenburg. Die Grenze zwischen Hagen und Leeden war Landesgrenze, sodass eine Einpfarrung dorthin zunächst nicht infrage kam. Über den Status seit dem 19. Jahrhundert berichtet die Schulchronik:

„Die Schulgemeinde ist nach dem 12,500 km entfernten Iburg eingepfarrt und wird in Leeden kirchlich geduldet und versorgt. Sie bezahlt deshalb keine Kirchsteuer in Leeden, und Gemeinde-Glieder können keine Kirchen-Ämter bekleiden und sind nicht wahlberechtigt. Die Gemeinde ist reformiert, wie auch die Leedener und die evangelischen des Synodalbezirkes Tecklenburg. In der Schule ist der Heidelberger Katechismus eingeführt. Bis 1847 war der Friedhof zu Hagen hiesiger Begräbnisplatz, danach der zu Leeden. Das kirchliche Leben der Gemeinde ist ein gutes.“ Nachtrag 1: „Die lutherischen Mitglieder der Gemeinde sind in Hasbergen eingepfarrt. 1906. H. Pabst.“ Nachtrag 2: „Seit dem 1. April 1910 sind die reformierten Mitglieder hiesiger Gemeinde nach Leeden Kreis Tecklenburg eingepfarrt. 1911. Kröger.“[6]

Als 1837 im Ortsteil Beckerode ein Eisenhüttenwerk gegründet wurde, zog dieses Werk zahlreiche Zuwanderer nach Hagen. Unter ihnen waren viele evangelisch-lutherisch. 1856 übertraf ihre Zahl – sie wohnten weitgehend in der Nähe ihres Betriebes in Beckerode und Altenhagen – die der reformierten Einwohner in der Niedermark. Während die katholischen Zuwanderer sich schnell in Hagen integrierten, folgten viele evangelische Arbeiterfamilien der Verlegung des Werkes nach Malbergen (1856) und ließen sich dort in Werksnähe nieder. In Hagen entsprach nun wieder die konfessionelle Zusammensetzung der Zeit vor der Hüttengründung.

Eine ganz neue Situation ergab sich durch die Flüchtlings- und Vertriebenenwanderungen am Ende und nach dem Zweiten Weltkrieg, als viele evangelisch-lutherische Christen auch nach Hagen kamen. Viele von ihnen blieben dauerhaft. Seit den 1960er Jahren hatte Hagen auch zahlreichen Zuzug von Menschen zu verzeichnen, die hier in der Nähe der Großstadt Osnabrück eine neue Heimat suchten. Die reformierten Christen sind so – auch im Vergleich zu den lutherischen – zu einer verschwindenden Minderheit geworden.

 

1651

 

1757

 

1811

 

1862

 

1995

 

gezählt wurden

Erwachsene

Familien

Einwohner

Einwohner

Einwohner

katholisch

Anteil in %

272

65 %

233

85 %

2039

95 %

2859

92 %

10564

75 %

evangelisch-lutherisch

146

7

109

147

2165

evangelisch-reformiert

15

116

142

konfessionell gemischt

 

18

     

Sonstige

       

1093

Summe

418

273

2148

3122

13970

Anmerkungen zu der Tabelle:

1651: Die evangelischen Christen verteilten sich noch über alle Ortsteile. Anteile an der Bevölkerung: Altenhagen 13 %, Mentrup 27 %, Beckerode 55 %, Gellenbeck 26 %, Sudenfeld 18 %, Natrup-Hagen 52 %.

1811: Evangelisch waren in Altenhagen 3, Mentrup 0, Beckerode 4, Gellenbeck 25, Sudenfeld 14, Natrup-Hagen 63.

1862: Lutheraner wohnten vor allem in Altenhagen (51) und Beckerode (64),

Reformierte vor allem in Natrup-Hagen (102).

Konfessionelle Zusammensetzung der Hagener Bevölkerung seit dem Dreißigjährigen Krieg[7]

Die Volksschule zu Natrup-Hagen (1846-1970)

Das Schulgebäude der evangelischen Volksschule Natrup-Hagen 1887-1963 an der Ecke Lengericher Straße/Bahnhofstraße.Aufnahme von 1952. Gemeindearchiv Hagen a.T.W.

Ein Schulmeister im Kirchspiel Hagen wird erstmals im Visitationsbericht des Generalvikars Lucenius von 1624 erwähnt. Aber erst in den Jahren 1663-1670 entstand ein eigenes Schulgebäude bei der Kirche. Für viele weit verstreut wohnende Kinder war aber die Entfernung vielfach zu groß. Eine Schulpflicht gab es im Hochstift Osnabrück zwar schon sehr früh, nämlich seit 1693[8], aber sie setzte sich erst im Laufe des 19. Jahrhunderts wirklich durch. In den weiter vom Dorf entfernt liegenden Bauerschaften wurde gelegentlich Unterricht in Neben- oder Klippschulen erteilt. Mehrere Bauern taten sich zusammen, stellten einen Lehrer ein, gaben ihm Kost und Wohnung und stellten einen Raum für den Unterricht zur Verfügung. So wird für Natrup-Hagen von einer ersten Klippschule in den 1820er Jahren berichtet, als ein Heuerling Dunkmann – „des Lesens und Schreibens kundig und sonst auch ein beratener Mann“[9] – auf dem Hof Nollmann im Winter Schule hielt. Ab 1830 durften die Kinder bereits nach Leeden zur dortigen evangelischen Schule gehen.

„Die Errichtung einer Volksschule in Natrup wurde auf Wunsch der Gemeinde, angeregt durch den derzeitigen ev. Besitzer des Brinkhofes od. Spelbrink [in Gellenbeck], Dr. Grewe und ermutigt durch Zusprache des damaligen Schloßpredigers Sahmerfeld in Iburg, – vom Königl. Consistorium zu Osnabrück im Jahre 1846 genehmigt […] Man rechnete auf Unterstützung vom Gustav-Adolf-Verein.“[10]

Colon Osterhaus errichtete auf seinem Grund zentral zu den drei Höfen gelegen, ein einfaches Schullokal. Der Lehrer wohnte anfangs auf dem Hof Osterhaus. Colon Nollmann gehörte dem ersten Schulvorstand an. Die evangelisch-reformierten Bauern bildeten also den Kern der Schulgemeinde. Die Schule hatte lange Zeit nur etwa 30 Schüler, war also im Vergleich zu den anderen Dorfschulen sehr klein. So musste sie um ihre Existenz kämpfen und war noch lange als kleine Diaspora-Schule auf die Unterstützung des Gustav-Adolf-Vereins angewiesen. Bereits 1858 konnte man zwar ein richtiges Schulhaus mit Lehrerwohnung errichten, aber schon 30 Jahre später wurde sein Zustand als mangelhaft bezeichnet. 1887 errichtete man dann direkt an der Chaussee Osnabrück-Lengerich (heute Lengericher Straße) ein massives Gebäude, das dann 70 Jahre Schule und Lehrer beherbergte.

Die evangelische Schulgemeinde war bis 1908 für ihre Schule zuständig und verantwortlich. Dann wurde der Schulverband Hagen, der die katholischen Volksschulen in Hagen, Gellenbeck, Sudenfeld und Mentrup umfasste, geteilt und die evangelische Volksschule in Natrup-Hagen dem neu gebildeten Schulverband der Hagener Niedermark[11] angeschlossen. Lokalschulinspektor war zu dieser Zeit Pastor Meyer aus Hasbergen, der auch zum neuen Schulvorstand gehörte. Die Zusammenarbeit mit den katholischen Schulen erschöpfte sich zunächst in gelegentlichen gemeinsamen Sportfesten seit den 1920er Jahren. Als 1939 die Konfessionsschulen in sogenannte christliche Gemeinschaftsschulen umgewandelt wurden, kam es zu einem größeren Schüleraustausch. 12 evangelische Schüler aus Gellenbeck gingen nun in ihrer Gemeinde Gellenbeck zur Schule, während 31 katholische Schüler aus Natrup-Hagen nun die bisherige evangelische Schule besuchten. Mit 50 bis 60 Schülern hatte diese Schule während des Krieges erstmals eine „normale“ Schülerzahl.

Lehrer Friedrich Niehoff (1913-1945 an der Schule in Natrup-Hagen) mit seinen Schülern im Sommer 1930. (aus: Beermann, Werner und Görbing, Dieter: Hagen am Teutoburger Wald Bilder die erzählen, Georgsmarienhütte 1986, S.112)

Als 1946 der Status der Konfessionsschulen nach Elternabstimmungen wieder hergestellt wurde, bedeutete das für die evangelische Schule rein rechnerisch keinen Verlust an Schülern. Viele evangelische Schüler waren als Flüchtlinge und Vertriebene auch in die Niedermark verschlagen worden. 1948 waren es bereits 101 Kinder an der evangelischen Volksschule.[12]  Zwar wurde die Schülerschar nun geteilt in eine Ober- und Unterklasse, von denen die eine vormittags und die andere nachmittags Unterricht hatte. Selbst als eine zweite Lehrkraft eingestellt wurde[13], änderte sich daran grundsätzlich nichts, da nur ein Klassenraum zur Verfügung stand. Wegen des Wegzugs vieler Vertriebenfamilien sank die Schülerzahl bis 1955 wieder auf 52 und die Schule wurde wieder einzügig.

1948 waren von den 101 Schülern nur 25 „Einheimische“ und 76 aus zerbombten Großstädten evakuiert worden oder aus dem deutschen Osten geflüchtet und vertrieben worden.[14] Die meisten von diesen waren evangelisch-lutherisch und die Schule verlor ihren evangelisch-reformierten Charakter. Aber die alte angestammte Schulgemeinde blieb bestimmend. Das zeigt deutlich eine kleine Begebenheit um die Wiederanstellung des Lehrers August Brockfeld (1945-1947 und 1949-1958 in Natrup-Hagen). Brockfeld war im Rahmen der Entnazifizierung 1947 aus dem Schuldienst entfernt worden, aber mit seiner Familie in der Dienstwohnung wohnen geblieben. Den Unterricht übernahm der „Flüchtlingslehrer“ Alfred Engel, der in Wersen wohnte und von dort täglich mit der Bahn anreisen musste. Über einen Revisionsbesuch des Schulrats Berger am 13. Mai 1949 notierte dieser in der Schulchronik:

„Anschließend fand eine Besprechung mit einem kleinen Teil, vorwiegend einheimischer Eltern statt. Flüchtlingseltern waren nicht eingeladen worden. Es wurde der Wunsch geäußert, daß ein einheimischer [!] Lehrer an der Schule angestellt werden soll.“[15]

Auf die Frage, ob es etwas gegen Lehrer Engel vorzubringen gäbe, wurde ausweichend die Wohnungsfrage vorgeschoben. Brockfeld jedenfalls kam zurück und Engel wurde eine Stelle mit Dienstwohnung in Wersen angeboten. Das Problem war zwar im Interesse der beiden Lehrpersonen gelöst worden, aber die Spaltung der Schulgemeinde war unübersehbar.

Das Ende der Schule ist schnell erzählt: Seit 1958 gingen die Schüler der oberen Jahrgänge bereits zur Mittelpunktschule in Hasbergen. 1963 bezog die Schule – schon seit Jahren genervt durch den Verkehrslärm auf der Lengericher Straße – einen Raum in der neu errichteten Schule an der Stresemannstraße, gemeinsam mit drei Grundschulklassen der katholischen Volksschule Gellenbeck. 1969 stellten dann die evangelischen Eltern einen Antrag auf Zusammenlegung der evangelischen Volksschule in Natrup-Hagen und der katholischen Volksschule in Gellenbeck, die nach Zustimmung der überwältigenden Mehrheit der katholischen Eltern zum 1. Februar 1970 erfolgte.

Die evangelische Schule Hagen (1856-1858)[16]

Die evangelischen Arbeitsmigranten zur 1837 gegründeten Beckeroder Eisenhütte befanden sich in einem Dilemma, was die Schulfrage anbelangte: In Hagen gab es nur katholische Volksschulen und es widerstrebte ihrem konfessionellen Selbstverständnis, ihre Kinder dorthin zur Schule zu schicken. Andererseits konnte man die Kinder nicht einfach zu Hause behalten, da Schulpflicht bestand. Die Gründung der evangelischen Schule in Natrup-Hagen im Jahr 1846 schuf dann nur ein neues Dilemma: Nun waren auch die evangelisch-lutherischen Kinder verpflichtet, diese Schule zu besuchen, aber der Schulweg von etwa fünf Kilometern war nicht zumutbar. Die Schule in Natrup-Hagen konnte aber, da sie selbst nur wenige Schülerinnen und Schüler hatte, auf das für diese Kinder zu zahlende Schulgeld nicht verzichten. Hinzu kam, dass zu dieser Zeit die ökumenische Bewegung zwischen Lutheranern und Calvinisten noch in den Kinderschuhen steckte und theologische Gegensätze das Verhältnis bestimmten. Das führte dazu, dass sich einige lutherische Arbeiter der Eisenhütte weigerten, ihre Kinder zu einer reformierten Schule zu schicken. Sie wollten eine lutherische Schule für ihre Kinder.

Die Leitung der Beckeroder Eisenhütte – mehrheitlich selbst lutherisch – stand den diesbezüglichen Wünschen der Arbeiterschaft durchaus aufgeschlossen gegenüber. Der Weg war dann frei, als sie sich 1855 bereit erklärte, die in Natrup-Hagen entstehenden Schulgeldausfälle zu übernehmen. So konnte 1856 eine kleine evangelisch-lutherische Schule mit 22 Kindern und einem Lehrer im Obergeschoss des Eckhauses Hüttenstraße/Mühlenweg eröffnet werden.

Aber zu diesem Zeitpunkt war auch schon wieder das Ende der Schule eingeläutet worden. Noch 1856 verkaufte der Inhaber Julius Meyer sein Hüttenwerk an den neu gegründeten „Georgs-Marien-Bergwerks- und Hüttenverein“, welcher das Hüttenwerk in das benachbarte Malbergen verlegte. Viele Arbeiter zogen ebenfalls dorthin, „sodass die kleine evangelische Schule in Hagen schon 1858, also nach nur knapp zwei Jahren, wieder geschlossen und nach Malbergen (heute Georgsmarienhütte) verlegt wurde“.[17]

Die Evangelische Volksschule in Hagen (1948-1968)

Die Zuwanderung vieler evangelischer Flüchtlinge und Vertriebener nach dem Zweiten Weltkrieg und die Wiederherstellung der Konfessionsschulen in Hagen 1946 erforderte eine schulische Lösung für die evangelischen Kinder auch in der Hagener Obermark. Und so beschloss der Gemeinderat von Hagen-Beckerode als Träger der katholischen Volksschule im Oktober 1946 ein schulisches Kuriosum, nämlich „eine Bekenntnisschule in Form einer Schulklasse für die Kinder der evangelischen Minderheit“[18], die an der katholischen Volksschule eingerichtet wurde. So wurde zum 1. Februar 1947 die evangelische Lehrerin Gertrud Krochmann an die katholische Volksschule Hagen berufen, wo sie eine evangelische Grundschulklasse mit den Jahrgängen 1-4 übernahm. Die älteren evangelischen Schüler wurden zunächst weiter in den Oberklassen der katholischen Schule unterrichtet und erhielten Religionsunterricht von Geistlichen aus Georgsmarienhütte.

Aber bereits zum Schuljahrbeginn 1948 wurde eine selbstständige evangelische Volksschule Hagen eingerichtet. Untergebracht war diese Schule in dem alten Schulgebäude von 1868, das 1929-1931 umgebaut und aufgestockt worden war (das heutige Rathaus von Hagen). Dort befanden sich zwei Klassenräume, von denen einer weiter von der katholischen Volksschule genutzt wurde, die ansonsten im Schulgebäude von 1911 auf der anderen Straßenseite zu Hause war. Das Verhältnis zum katholischen Kollegium wird in der Schulchronik der evangelischen Schule immer wieder als harmonisch und freundschaftlich beschrieben. Vor allem die Schulleiter Hinze und Herkenhoff waren freundschaftlich verbunden, wohl auch wegen ihres gemeinsamen Hobbys, der Heimatforschung.

Diese Aufnahme von ca. 1960 zeigt links unten den Schulhof mit dem 1911 errichteten Schulgebäude, Turnhalle und Toilette. Rechts unterhalb der Kirche das 1868 errichtete und um 1930 vergrößerte alte Schulgebäude, das heutige Rathaus, in dem die evangelische Schule untergebracht war. Gemeindearchiv Hagen a.T.W.

Die evangelische Schule umfasste anfangs 118 Schüler, davon 113 „Ortsfremde“, die von zwei Lehrpersonen in drei Klassen, aber in nur einem Raum unterrichtet wurden. Nach dem Wegzug vieler Vertriebenenfamilien wurde die Schule ab 1951 zweiklassig und ab 1956 nur noch einklassig mit nun 37 Schülern geführt. Von 1958 bis 1964 wurden schrittweise die Oberklassen an die Mittelpunktschule in Georgsmarienhütte überwiesen, sodass die Schule dann nur noch Grundschule war.    

Die hervorragende Persönlichkeit dieser Schule war Konrad Hinze[19], der sie von 1948 bis zu seiner Pensionierung 1964 leitete. Als engagierter Vertreter seiner Schule und der Interessen der Vertriebenen gehörte er zu den angesehensten Honoratioren der Gemeinde. Auch in seiner pädagogischen Arbeit spielten Flucht und Vertreibung und die Erinnerung an die verlorene Heimat eine große Rolle. Mit großer Empathie reflektierte er die besondere Situation seiner Schüler nach den schrecklichen Fluchterlebnissen. Um ihnen bei der Verarbeitung zu helfen, ließ er sie die Erlebnisse aufschreiben und stellte die Mappe mit den Berichten bei einem öffentlichen Elternabend am 20. März 1949 vor, wo sie lebhaftes Interesse fand.[20]

Ihm ging es vor allem darum, seine Schule zu einer wirklich selbstständigen (Konfessions-)Schule zu entwickeln. Das war schwer bei der Symbiose mit der großen katholischen Volksschule. Der von „Einheimischen“ beherrschte Gemeinderat sah sie offensichtlich gut versorgt durch die Nachbarschaft mit der katholischen Volksschule. Hinze aber reagierte schließlich in einer Schulvorstandssitzung am 26. Juni 1952 heftig:

„Die Ev. Schule besteht 4 Jahre u. hat noch kein eigenes Inventar. Sie ist in Respektierung des Elternrechtes geschaffen worden. Wer von Ihnen möchte es wagen, hier in Hagen die beiden Konfessionsschulen aufzulösen u. sie zu einer Gemeinschaftsschule zusammenzuschließen, nur um knapp 1000,- DM für Inventarbeschaffung zu sparen? […] Es ist stets von mir beantragt worden, aber nie waren Mittel dafür vorhanden [...] Nennen Sie mir eine kath. Schule im ganzen Regierungsbezirk, die 4 Jahre besteht und noch kein eigenes Inventar besitzt! Darum auch hier: ͵Gleiches Recht für alle!ʹ Stellen Sie Ihre Schulfreudigkeit auch bei der Ev. Schule unter Beweis.“[21]

Konrad Hinze (1901-1981), Lehrer an der evangelischen Schule in Hagen von 1948-1964.

Die Elternschaft der Schule sah sich vor allem in den Anfangsjahren in einer zweifachen Minderheitssituation: als nicht unbedingt willkommen geheißene Fremde und als evangelische Christen. Als 1949 Gertrud Krochmann an Tuberkulose erkrankt war, wurde schließlich Karoline Nagel von der katholischen Volksschule längerfristig zur Vertretung abgeordnet. Das hätte beinahe zu einem Aufstand der evangelischen Eltern geführt. Hinze berichtet:

„In 2 Besprechungen der Elternschaft, die am 24.4. u. 29.4.49 im Klassenraum erfolgten, wurde der unbefriedigende Zustand d. Vertretung f. Frl. Krochmann eingehend erörtert. Die Elternschaft fühlt sich hintergangen u. pocht auf ihr Elternrecht. Man verlangt die konsequente Einhaltung der evang. Bekenntnisschule. Der Lehrer versuchte, einen Kulturkampf in Hagen zu verhindern.“[22]

Bei Hinzes Pensionierung 1964 hatte die Schule nur noch 24 Schüler. Die Zahl stieg in den kommenden Jahren vor allem wegen eines verstärkten Zuzugs von jungen Familien nach Hagen noch einmal auf 40 im Jahr 1968 an. Aber auch die evangelischen Eltern sahen die besseren Möglichkeiten an der katholischen Volksschule Hagen, die bereits die sogenannte Förderstufe[23] eingeführt hatte. Viele schickten ihre Kinder nach dem 4. Schuljahr nicht mehr nach Georgsmarienhütte, sondern meldeten sie an der katholischen Volksschule Hagen an. Seit 1966 wurde in Elternversammlungen die Zusammenlegung mit der katholischen Volksschule diskutiert und 1967 ein offizieller Antrag gestellt. Bei der Elternabstimmung im Jahr 1968 stimmten 96 % der evangelischen und trotz heftigen Gegenwinds vonseiten der katholischen Geistlichkeit auch 58 % der katholischen Eltern dem Antrag zu. Der letzte Lehrer an der evangelischen Schule, Wilfried Friesel, notierte abschließend in der Schulchronik:

„Am 1.8.1968 hört die Volksschule für Schüler evgl. Bekenntnisses auf zu bestehen. Die Schülerschaft (39 Kinder) wird von der nunmehrigen Volksschule für Schüler aller Bekenntnisse übernommen. Herr Friesel bleibt ebenfalls an der neuen Schule.“[24]

Die konfessionelle Situation an der katholischen Volksschule Sudenfeld nach dem Zweiten Weltkrieg[25]

Die 1884 gegründete katholische Volksschule in Sudenfeld war von der Umwandlung aller Konfessionsschulen in Gemeinschaftsschulen im Jahr 1939 insofern nicht betroffen gewesen, als in ihrem Einzugsbereich keine evangelischen Schüler wohnten. Sie blieb faktisch eine katholische Konfessionsschule. Anders stellte sich aber die Situation bei der Rückumwandlung zu einer Konfessionsschule 1946 dar. Ab1945 waren zahlreiche evangelische Kinder auch nach Sudenfeld verschlagen wurden. Von den 55 Flüchtlings- und Vertriebenenkindern, die zwischen 1945 und 1950 eingeschult wurden, war die Mehrheit, nämlich 31 evangelisch. Für diese Kinder war der weite Weg zu den evangelischen Volksschulen in Natrup-Hagen und Hagen nicht zumutbar, sie mussten in Sudenfeld beschult werden. Damit war die Sudenfelder Schule auf Jahre hin faktisch eine Gemeinschaftsschule. Noch 1951 wurden neben fünf katholischen auch drei evangelische Kinder eingeschult. Wie der konfessionelle Religionsunterricht organisiert wurde, ist aus dem Jahr 1947 überliefert:

„Mußten in den letzten Jahren [1939-1945] die Sudenfelder Lehrer den Religionsunterricht für die kath. Kinder der Natruper (Gemeinschafts)Schule bestreiten, so kommt jetzt der evang. Lehrer von Natrup jede Woche einmal nach hier, um den evang. Flüchtlingskindern Religionsunterricht zu erteilen.“[26]

Die Sudenfelder Schule in den 1950er Jahren

Literatur

Brand 2009:

Brand, Johannes: Konrad Hinze (1901-1980), in: Nachrichten aktuell Hagen a.T.W. 3/2009 – auch in: Heimatverein Hagen (Hrsg.): Hagener Geschichten, Hagen a.T.W. 2011, S. 234-236 und in: http://www.heimatverein-hagen-atw.de/archiv/248-konrad-hinze-1901-1980

Brand 2012:

Brand, Johannes: Kriegsbedingte Schülerwanderungen an der Volksschule Sudenfeld, in:Nachrichten aktuell Hagen a.T.W. 2/2012, S. 27-29 (Teil 1) und 3/2012 S. 17-20 (Teil 2) – auch in: http://www.heimatverein-hagen-atw.de/archiv/350-2016-01-02-16-59-35

Brand/Rottmann/Witte 2011:

Brand, Johannes; Rottmann, Rainer; Witte, Helga: Geschichte der Schulen in der Hagener Obermark, Hagen a.T.W. 2011, S. 214-228.

Brand/Rottmann/Wulftange 2009:

Brand, Johannes; Rottmann, Rainer; Wulftange, Gregor: 200 Jahre öffentliche Schule in der Niedermark 1809-2009, Hagen a.T.W. 2009, S. 118-127.

Fiegert/Freitag 1999:

Fiegert, Monika; Freitag, Christine: „… des Morgens bäthet der Lehrer zu erst.“ Osnabrück 1999

Hoffmann:

Hoffmann, Christian: Das Bistum Osnabrück, 2 Von der Reformation zur Säkularisation, Kehl o. J.

Rottmann 1997:

Rottmann, Rainer: Hagen am Teutoburger Wald. Ortschronik, Hagen a.T.W. 1997.

Schönhoff 2003:

Schönhoff, Doris (Hrsg.): Menschen Bilder und Gedanken – Alltägliches aus Hagen, Hasbergen und Georgsmarienhütte, o. O. 2003, S. 213-238.

 

[1] Hoffmann, S.18.

[2] Zitiert in der Übersetzung von Wilfried Pabst in: Konfessionelles Nebeneinander im geistlichen Fürstentum Osnabrück, Protokolle des Generalvikars Lucenius über die Visitation der Kirchen und Klöster im Osnabrücker Land (1624/25). Osnabrück 1997.

[3] Ausführlich dargestellt in: Rottmann 1997, S.202-204.

[4] Zitiert in der Übersetzung von Wilfried Pabst in: Konfessioneller Wechsel in der Landesherrschaft, Osnabrück 1998.

[5] Hagen gliedert sich traditionell in die östliche Obermark mit den Bauerschaften Altenhagen, Beckerode und Mentrup und die westliche Niedermark mit den Bauerschaften Gellenbeck, Natrup-Hagen und Sudenfeld.

[6] Archiv der Grundschule Gellenbeck, Schulchronik Natrup-Hagen I, S. 91.

[7] Zusammengestellt nach Rottmann 1997, S. 205 ff. Der Fehler in der Spalte 1995 findet sich bereits in der von Rottmann angegebenen Quelle.

[8] Siehe Fiegert/Freitag 1999, S. 15 ff.

[9] Archiv der Grundschule Gellenbeck, Schulchronik Natrup-Hagen I, S. 4. Siehe auch:

 Brand/Rottmann/Wulftange 2009, S. 119.

[10] Archiv der Grundschule Gellenbeck, Schulchronik Natrup-Hagen I, S. 3.

[11] Siehe Anmerkung 5.

[12] Archiv der Grundschule Gellenbeck, Schulchronik Natrup-Hagen I, S. 105.

[13] Siehe zu der Problematik: Brand/Rottmann/Wulftange 2009, S. 125.

[14] Archiv der Grundschule Gellenbeck, Schulchronik Natrup-Hagen II, S. 3.

[15] Archiv der Grundschule Gellenbeck, Schulchronik Natrup-Hagen II, Schuljahr 1949/50.

[16] Siehe zum folgenden Brand/Rottmann/Wulftange 2009, S. 214 f.

[17] Brand/Rottmann/Witte 2011, S. 215.

[18] Rottmann 1997, S. 396.

[19] Zu Konrad Hinze siehe: Brand 2009.

[20] Siehe zum Elternabend: Archiv der Grundschule St. Martin, Hagen a.T.W.: Schulchronik der Ev. Volksschule in Hagen S. 4. – 16 Schülerberichte sind abgedruckt in: Schönhoff 2003, S. 215-235, dort finden sich auch Hinzes Gedanken dazu S. 213 f. und 236 ff.

[21] Archiv der Grundschule St. Martin, Hagen a.T.W.: Schulchronik der Ev. Volksschule in Hagen S. 14.

[22] Archiv der Grundschule St. Martin, Hagen a.T.W.: Schulchronik der Ev. Volksschule in Hagen S. 5.

[23] Die Förderstufe umfasste die Klassen 5 und 6 und sollte durch äußere Differenzierung in Leistungskurse einen Übergang zu Realschulen und Gymnasien noch nach Klasse 6 ermöglichen.

[24] Archiv der Grundschule St. Martin, Hagen a.T.W.: Schulchronik der Ev. Volksschule in Hagen S. 51.

[25] Der folgende Abschnitt folgt im Wesentlichen Brand 2012 Teil 2, S.18 f.

[26] Archiv der Grundschule Gellenbeck, Schulchronik der Schule zu Sudenfeld (Band 2), S. 113.

 

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