Geraubtes Buch

Über das Hagener Missale Romanum

Von Rainer Rottmann

Zu den wohl schwersten Verlusten, die die Gemeinde Hagen a.T.W. im Ver­lauf des 30jährigen Krieges (1618-1648) auf kulturellem Gebiet hinnehmen mußte, gehört ein kostbares und für die Geschichte Hagens überaus auf­schlußreiches Buch, das sogenannte "Missale Romanum", also ein Meßbuch.

Nach Ausweis alter Akten lag dieses Meßbuch auf dem Altar in der Hage­ner Pfarrkirche. Es hatte eine Länge vom ca. 73 und eine Breite von ca. 58 cm. Die einzelnen Seiten waren große Blätter aus Pergament, auf denen in aufwendiger Form mit vielen Verzierungen der lateinische Text und die da­zugehörigen Noten des "Introitus" und des "Alleluja" geschrieben standen. Der Einband des Buches wird aus lederbezogenen Holzdeckeln bestanden haben, die, wie der enorme Wert (im Jahre 1662 geschätzt auf 100 Taler) ver­muten läßt, mit Beschlägen aus Silber und Gold versehen waren.

Neben seiner Funktion als prunkvolles Meßbuch hatte dieses Missale aber noch eine andere wichtige Aufgabe; in ihm waren nämlich die "Privilegia" der Hagener Pfarrkirche vermerkt, das heißt, es fungierte als Urkunde und Beweismittel für Rechte und Ansprüche, die die Hagener Kirche im Laufe der Jahrhunderte erworben hatte. Schenkungen an die Kirche wur­den demnach ebenso in dieses Buch eingetragen wie die Gründung und Verpachtung von Markkotten, die der Kirche abgabepflichtig sein sollten. Wie wichtig diese Urkundsfunktion des Missale war, sollte sich anläßlich eines Rechtsstreits im Jahre 1606 zeigen. Damals machte der Ritter Amelung von Varendorf, der der Grundherr des Hofes Bensmann in Gellenbeck war, Ansprüche auf den Markkotten Lückemeyer geltend, weil dieser Kotten vom Hof Bensmann abstamme. Diese Ansprüche wurden von den Hagener Kirchräten energisch zurückgewiesen, da Amelung von Varendorf keinen ""Titulum domini" und keine "Possession""(= Besitzrecht) vorbrin­gen könne. Vielmehr, so erwidern sie, habe die Kirche von Hagen ein Recht auf diesen Kotten, denn es sei wahr, daß im Jahre 1500 der Bauer Bensmann von den Kirchräten und der ganzen Gemeinde die Erlaubnis erbeten habe, für seine Tochter Luken einen Kotten auf Markenland errichten zu dürfen. Die erbetene Erlaubnis sei ihm erteilt und dabei vereinbart worden, daß nach dem Tod der Tochter das Haus in das Eigentum der Hagener Kir­che übergehen solle. Zur Bekräftigung dieser Aussage findet sich in den Gerichtsakten der Vermerk: "Haec origo domini scripta est in sacro librio Missali, quo Ecciesia utitur et demonstrari ad oculum ista scriptura potes", zu deutsch: Diese Herkunft des Kottens ist im Heiligen Meßbuch beschrie­ben, so daß durch die Kirche diese Bestimmung allen sichtbar bewiesen und dargelegt werden kann! Auch der Pachtvertrag vom Jahre 1603 zwi­schen Peter Lücking und den Kirchräten, den Lückemeyerskotten betref­fend, wurde zur Urteilsfindung herangezogen und zu diesem Zweck von einem Notar kopiert. Am Ende der Kopie bestätigt der Notar: "Ick Casparus ... bekenne, dat yck dit baven geschreven hebbe, van Worden tho Worden affgeschreven uth dem Missal, dat in der Kercken tho Hagen up dem Altar iß, in Bywesend des werdigen Heren Pastors Conrad Grusen in Hagen und Hendrich Speimeier."

Anhand dieses Rechtsstreits und der zitierten Textstellen mag man erah­nen, wieviele Fragen bezüglich der Hagener Geschichte gelöst werden könnten, wenn dieses uralte Buch noch vorhanden wäre. Leider ist es je­doch in den Wirren des 30jährigen Krieges ein Opfer von Ignoranz und/oder Habgier geworden. In einer Aufstellung der kirchlichen Gegen­stände aus dem Jahr 1651 wird das betreffende Buch als gestohlen gemel­det. "Missale Romanum aus Pergameno in magno folio mit allen Noten so­wohl des Introitus als des Alleluja ist von Soldaten weggeraubt, wie der Prädikante vorgegeben hat" (Prädikante = der Vorgänger, der evangeli­sche Pfarrer Rodemeister).

Auskunft über das Aussehen, die Funktion, den Wert und das Schicksal des Buches gibt uns auch ein Brief des katholischen Pfarrers Theodorus Mauritius an seinen Vorgänger, dem evangelischen Pastor Albertus Rode­meister. In diesem Schreiben vom 3.10.1662 beklagt sich Mauritius bei Ro­demeister, "daß er das große Mißbuch, fünfviertel in der Länge und eine El­le in der Breite, von lauter Pergament, ganz mit Noten geschrieben nach den Graduall, in welchem auch die Privilegia der Kirchen begriffen und der Kirchen an die 100 RT gekostet, nur zum Schimpf und Spott im Pastorats­hause gebraucht; diesselbe damit beraubt. Wann Ers in der Kirchen gelas­sen, war es darin geblieben wie die anderen Bücher, deren keins wegge­kommen aus der Kirchen."

Nach diesen Angaben des Pfarrers Mauritius soll das Meßbuch also zu der Zeit, als der evangelische Pfarrer Rodemeister in Hagen tätig war (1636-1650), von Soldaten aus dem Pfarrhaus entwendet worden sein. Der Raub wird vor 1648, dem Jahr des Westfälischen Friedensschlusses erfolgt sein. Welche Soldaten sich derart bereichert haben, wird leider nicht er­wähnt. Es könnten Schweden gewesen sein, die schon seit 1633 Osna­brück besetzt hielten und von Zeit zu Zeit das Umland mit ihren Plünderungen überzogen; vielleicht waren es aber auch kaiserliche, also katholische Reichstruppen, die das kostbare Buch verschleppten, denn im Jahre 1637 brachen sie in Hagen ein, plünderten das Dorf und führten den evangeli­schen Pfarrer Rodemeister als Gefangenen nach Glandorf ab. Wiederauf­getaucht ist das Hagener "Missale Romanum" bislang nicht und es be­steht auch wohl nur wenig Hoffnung, daß man es jemals wiederfindet. Der Deckel dieses Buches bleibt damit wohl für immer zugeschlagen und der für die Geschichte Hagens so aufschlußreiche Inhalt für alle Zeiten ver­schollen.

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