Pfarrer Gustav Görsmann (1873-1942)

aus: Heimat-Jahrbuch 2012 Osnabrücker Land, S. 231-240

Pfarrer Gustav Görsmann (1873-1942)

Erinnerung zum 70. Jahrestag seines Todes im KZ Dachau

Johannes Brand

Gustav Görsmann (Foto: Diözesanarchiv Osnabrück)

Spuren

Auf einem Rundgang durch den Hagener Ortsteil Gellenbeck stößt man allenthalben auf den Namen des 1942 im Konzentrationslager Dachau verstorbenen ersten Pfarrers der Kirchengemeinde Gellenbeck, Gustav Görsmann. Das 1957 zunächst als Jugendheim fertiggestellte Pfarrheim neben der Kirche trägt den Namen „Gustav-Görsmann-Haus“. Vor dem Westportal der Kirche hat der Kölner Künstler Gunter Demnig im Jahre 2008 einen seiner inzwischen berühmten „Stolpersteine“ für die Opfer des Naziregimes verlegt. In der nordwestlichen Ecke des Kirchengrundstücks befindet sich das 1956 von dem Landschaftsarchitekten Hempelmann entworfene  Ehrenmal der Hagener Niedermark für die Opfer beider Weltkriege. Eine eigene Platte ist Gustav Görsmann gewidmet. Direkt gegenüber der Kirche mündet die die „Görsmannstraße“; sie wurde nach dem Pfarrer benannt, weil er nach seiner zweiten Verhaftung über diese Straße im Wagen der Gestapo seine Gemeinde endgültig verlassen musste. An dieser Straße liegt auch die Gellenbecker Schule, in der Görsmann bei dieser Verhaftung zum Seelsorgeunterricht weilte. Dort errichtete die Gemeinde Hagen a. T. W. im Jahre 1990 ein von dem in Hagen lebenden Bildhauer Bernhard Gewers geschaffenes Denkmal. Aus einem Granitfindling wurden zwei sich umarmende Figuren herausgearbeitet. Der Sockel trägt als programmatische Zusammenfassung seines Lebens die Titel „Hirte – Freund – Zeuge“. Ganz im Nordwesten von Hagen direkt an der Grenze zu Hasbergen, steht eine kleine Kapelle mit dem Titel „Sieben-Schmerzen-Kapelle“. Sie wurde auf Initiative der Großfamilie

Gösmann/Gössmann/Gößmann/Görsmann errichtet und erinnert auf ganz besondere Weise an den großen Marienverehrer Gustav Görsmann, dessen Todestag, der 15. September, in der katholischen Kirche liturgisch als „Fest der sieben Schmerzen Mariä“ begangen wird. Schließlich findet sich auf dem Gellenbecker Friedhof unter dem Friedhofskreuz sein Grab. Die 1951 vom Osnabrücker Bildhauer Friedrich Vornholt geschaffene Grabplatte erwähnt sein Leiden und seine Verdienste: Gestorben „ [...] nach harter, ungerechter Gefangenschaft. Seine ganze Arbeit galt dem Heil der Seelen, der Vollendung der neuen Kirche und ihrer Ausstattung“.  

Gustav Görsmann mit seinen Eltern und seiner Schwester Elisabeth 1884. (Foto: Diözesanarchiv Osnabrück)

Der Weg zum Priester

Ferdinand Friedrich Gustav Görsmann wurde am 29. September 1873 in Osnabrück als Sohne des Tischlermeisters Conrad Heinrich Görsmann (1841-1908) und seiner Frau Maria Catharina (1838-1891) geboren. Nach mündlicher Überlieferung in der Familie seiner Schwester gab der 17-jährige seiner Mutter auf dem Sterbebett das Versprechen Priester zu werden. Nach dem Abitur am Gymnasium Carolinum im Jahre 1895 studierte er dann Theologie in Freiburg und Münster. Nach Abschluss der Studien ging er ins Osnabrücker Priesterseminar und wurde dann am 25. September 1898 im Dom zu Osnabrück zum Priester geweiht. Der junge Priester arbeite danach als Vikar an der Kirche St. Marien in Bremen (1898-1906), wo er auch in der Gefängnisseelsorge eingesetzt war. Dann wurde er als Kaplan an die Kirche St. Bartholomäus in Wellingholzhausen berufen (1906-1915).

Andenken an Priesterweihe und Primiz 1898 (Diözesanarchiv Osnabrück)

Gustav Görsmann 1907 als Kaplan in Wellingholzhausen und um 1920 als Pastor in Gellenbeck. (Fotos: Diözesanarchiv Osnabrück)

Pastor und Pfarrer in Gellenbeck

Als am 13. Dezember 1915 die neu erbaute Kirche Mariä Himmelfahrt im Hagener Ortsteil Gellenbeck eingeweiht wurde, war Gustav Görsmann als neu ernannter Pastor der Gemeinde bereits dabei. Die neue Kirchengemeinde war von der alten Martinusgemeinde Hagen abgespalten worden, um kleinere Seelsorgeeinheiten zu schaffen. Noch war sie aber als sogenannte Kuratiegemeinde nicht völlig selbstständig; deswegen trug er zunächst den Titel Pastor. Erst mit der Erhebung der Kirchengemeinde zur Pfarrei im Jahre 1919 wurde er auch zum Pfarrer ernannt. Görsmann kam im Dezember 1915 – mitten im Ersten Weltkrieg – nicht in eine bereits lebendige Gemeinde, sondern in eine Situation, die einer Baustelle glich: Das Pfarrhaus war noch nicht fertig, er musste zunächst einige Monate in der Gastwirtschaft Herkenhoff wohnen, an der Ausstattung der Kirche fehlte es, ein Gemeindeleben musste erst entstehen.[1]

Gustav Görsmann zeichnete und malte gerne und man sagte ihm bedeutendes Kunstverständnis nach. Da ist es verständlich, dass er sich intensiv um die weitere Ausgestaltung der nur im Rohzustand fertigen Kirche kümmerte. Wichtige Werke waren in Auftrag gegeben, so das Antoniusbild des Nebenaltars bei Franz Hecker, das noch Pfarrer Antonius Tappehorn von St. Martinus in Hagen als Stifter in Auftrag gegeben hatte. Auch der Hochaltar war bereits in Auftrag gegeben, die Fertigstellung verzögerte sich wegen des Krieges. Und als die Stifterfamilie eine völlige Änderung des ursprünglichen Plans durchsetzte, schwand das Interesse des erzürnten Pastors an diesem Projekt; dennoch wurde der Altar schließlich zum Silbernen Priesterjubiläum im Jahre 1923 aufgestellt. Andere Stücke aber trugen seine Handschrift. So findet sich noch heut im Schalldeckel der Kanzel eine Taube als Symbol des Heiligen Geistes, umgeben von den Wapppen Papst Benedikts XV., Bischof Wilhelm Bernings, des Stifters Bauer Otte und eben das Zeichen Pastors Gustav Görsmann, zwei ineinander verschlungene G. Als es 1919 an die kunstvolle Ausmalung der Kirche im Stil der damaligen Zeit ging, soll Görsmann nicht nur Einfluss auf die Ausgestaltung genommen haben, sondern selbst auch zum Pinsel gegriffen und ein Gewölbe im nördlichen Seitenschiff ausgemalt haben. Auch dort hinterließ er sein erwähntes Logo. Ein drittes Beispiel: Im Jahre 1932 sollte ein zweiter Beichtstuhl angeschafft werden. Der junge Tischler Johannes Wüller wollte ihn im Rahmen seiner Meisterprüfung erstellen. Nun stand auf dem Hof Meyer zu Gellenbeck eine wertvolle alte Eiche, die als unverkäuflich galt. Görsmann gelang es, die Eigentümerin zur Stiftung eben dieser Eiche zu bewegen. Darüber hinaus ist auch die Ausstattung der Kirche mit etwa 40 Bildfenstern, gestaltet von dem bayerischen Künstler Augustin Pacher und dem jungen Osnabrücker Theo Landmann, zu nennen. Der Einfluss Görsmanns auf die Auswahl der Künstler dürfte entscheidend gewesen sein.

Gleichzeitig musste das Gemeindeleben einer ganz neuen Gemeinde beginnen. Neben dem zu entwickelnden Programm von Messen, Andachten, Prozessionen, Kommunionunterricht in der Schule, Tauffeiern in der Kirche und so weiter, gab es auch bald für die Beerdigungen einen würdigen Friedhof zu erwerben und zu gestalten. Dann aber war des Gemeindeleben seit dem 19. Jahrhundert auch durch ein vielfältiges Vereinswesen geprägt. So gründete Görsmann bereits 1917 die Jungfrauenkongregation und 1922 den Mütterverein. Für Männer wird zunächst 1919 das sogenannte Männerapostolat erwähnt. All drei Organisationen zeichneten sich in Gellenbeck durch ein intensives Frömmigkeitsleben aus, wozu die monatliche gemeinsame Kommunion und Vorträge des Pastors zu geistlichen Themen gehörten. Es verwundert zunächst, dass ein Arbeiterverein erst 1927 nach langem Widerstand des Pfarrers auf Geheiß des Bischofs gegründet werden konnte und ein Verband für die männliche Jugend, die Jungmännerkongregation, erst 1930 ins Leben gerufen wurde. Eine Erklärung mag darin bestehen, dass diese Vereine dem Pfarrer in ihren Aktivitäten zu wenig „fromm“ und zu sehr nach außen gerichtet waren, der Arbeiterverein in seiner Auseinandersetzung mit der Arbeitswelt, die Jungmännerkongregation in ihrem Streben nach Gründung eines Sportvereins.

Eine Aufnahme kurz nach Fertigstellung von Kirche und Pfarrhaus, wahrscheinlich 1916 (Pfarrarchiv Gellenbeck)

26 Jahre lang, in seinem Leben war es die Phase vom 42. bis zum 68. Lebensjahr prägte und gestaltete er als starke Persönlichkeit das Leben seiner jungen Kirchengemeinde, erst ab 1935 unterstütz durch einen Kaplan. Wie unerschrocken er aber für seine Überzeugung stand, zeigte sich dann, als 1933 der Kirche der raue Wind des nationalsozialistischen Staates ins Antlitz blies.

Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus

Die Ursache für Görsmanns Verhaftung, KZ-Haft und Tod wird meistens in seinem Umgang mit französischen Kriegsgefangenen gesehen[2]. Oft ist das nur verbunden mit der pauschalen Feststellung: „Görsmann stand dem Nationalsozialismus von Anfang an ablehnend gegenüber.“[3] Nun fließen die Quellen für Görsmanns Einstellung zum Nationalsozialismus nur als dünnes Rinnsal, dennoch soll zumindest eine skizzenhafte Darstellung an zwei Beispielen versucht werden. [4]

Pfarrer Görsmann hielt jeweils zum Jahreswechsel eine Predigt, in der er die Statistik des abgelaufenen Jahres vortrug und kommentierte[5]. Dabei nahm er zwischen 1933 und 1940 auch regelmäßig Stellung zur nationalsozialistischen Familienpolitik und stellte ihr das christliche Familienbild gegenüber. Er formulierte in dem Zusammenhang  auch Sätze wie: „Sucht das echte Christentum im Herzen der Deutschen tiefer zu begründen, und wehret denen, die das Christentum bekämpfen; sie sind die Totengräber der deutschen Nation.“ (Chronik 1936) Oder: „... 29 Geburten auf 1000 Seelen, das ist wahre christliche Vaterlandsliebe. Wieviele gibt es, die sich mit Vaterlandslieben brüsten, aber auf dem Wege der Erhaltung und Vermehrung des Vaterlandes vollständig versagen.“(Chronik 1939) Andere Predigten Görsmanns sind uns nicht erhalten geblieben. Aber es lässt sich annehmen, dass er bei Gelegenheit deutlich seiner Distanz zum Nationalsozialismus zum Ausdruck brachte.

Dass es durchaus systematische Bespitzelung in der Hagener Niedermark gab, zeigt der sogenannte Flaggenstreit von 1935. Dem Vorwurf des Landrates, die Kirchengemeinde habe an staatlichen Feiertagen keine Flaggen gezeigt, beantwortete Görsmann in einer langen und durchaus schlitzohrigen Stellungnahme. Da ist von einem Gefühl des Gekränktseins wegen der Vorwürfe in der Kirchengemeinde die Rede. Man habe regelmäßtg geflaggt, wenn auch an der Ostseite der Kirche, wo es der Berichterstatter wohl nicht gesehen habe. Und die Hakenkreuzfahne habe an einen Mast direkt an der Westfassade der Kirche gehangen, wo sie doch der Berichterstatter hätte sehen können. Und dann sei zuletzt am Mast beim Pfarrhaus das Drahtseil gerissen gewesen, und man kenne ja die Saumseligkeit der Handwerker, wenn es um kleine Reparaturen gehe. In seinem Antwortschreiben deutet der Landrat dann eine planmäßige Bespitzelung an: „... wie es sich erklären kann, dass mein Berichterstatter etwa die Hakenkreuzfahne seit dem 2. 5. 34 regelmässig sollte übersehen haben.“[6]

Die wenigen Beispiele können keine Verfolgung bis zur KZ-Haft begründen. Es müssen viele kleine Ereignisse gewesen sein, die bei lokalen Parteigrößen gegenüber dem Pfarrer einen ideologisch begründeten Hass aufgebaut haben; anders sind die Ereignisse von 1940/1941 und die Folgen nicht zu erklären.

Der Stolperstein von Gunter Demnig vor dem Westportal der Gellenbecker Kirche.

Der Prozess

Als im Jahre 1940 etwa 20 französische Kriegsgefangene auch nach Natrup-Hagen verlegt wurden, die dort auf den Bauernhöfen und in Handwerksbetrieben arbeiten mussten, traf der Pfarrer bei seinen regelmäßigen Familienbesuche auch auf sie. Sein Umgang mit ihnen stieß bald auf Argwohn, weil er sich mit ihnen in ihrer Muttersprache verständigen konnte und in aller Freundschaft mit ihnen umging. Galten die Franzosen auch nicht als Bedrohung aus rassistischen Gründen, so galt doch Fraternisierung mit ihnen als staatsfeindlicher Akt. Zu Görsmanns Selbstverständnis als Seelsorger gehörte es aber, sich auch um diese französischen Katholiken zu kümmern. Folglich beantragte er beim Wehrkreispfarrer die Genehmigung, mit den Kriegsgefangenen Gottesdienst feiern zu dürfen. Da er mit einer Genehmigung rechnen konnte, sie wurde auch am 29. August erteilt, lud er die Gefangenen bereits Mitte August ein. Daraus und aus den weiteren nicht eigens zur Genehmigung beantragten  Gottesdiensten versuchte man nun ihm einen Strick zu drehen.

Am 7. März 1941 wurde er in Untersuchungshaft genommen. Die Oberstaatsanwaltschaft in Osnabrück warf ihm in der Anklageschrift vom 18. März außer der Abhaltung nicht genehmigter Gottesdienste vor: „Zu allen Gottesdiensten lud er die Kriegsgefangenen schriftlich mit der Anrede ͵Meine französischen Katholikenʹ oder ͵Meine Brüderʹ ein, auch unterhielt er sich mit den Kriegsgefangenen, wo er sie traf, über ihre persönlichen Verhältnisse, ihre Verpflegung und Arbeit, obwohl das durch die ihm unter dem 29. 8. 40 zugegangenen Richtlinien für die geistliche Betreuung der katholischen Kriegsgefangenen ausdrücklich untersagt war und in der Öffentlichkeit Erregung hervorrief.“[7] Die genannte Öffentlichkeit dürften die wenigen Parteiaktivisten gewesen sein, nicht die große Mehrheit der Kirchengemeinde. Auch dem Richter am Landgericht Osnabrück kam das Vergehen Görsmanns offensichtlich als zu unbedeutend vor, denn er verurteilt ihn am 2. April 1941 zu genau den vier Wochen Freiheitsstrafe, die er beim Prozess bereits in Untersuchungshaft verbracht hatte, sodass er das Gericht als freier Mann verlassen konnte.

Schutzhaft/KZ

Ganz offensichtlich waren die Gegner des Pfarrers unzufrieden mit dem Urteil und suchten nun einen anderen Weg, um ihn aus dem Verkehr zu ziehen. In einem ersten Schritt fragte wenige Tage nach dem Urteil die Gestapo beim Generalvikariat in Osnabrück an, ob man dort nicht bereit sei Görsmann Pensionierung anzuordnen, da „bei dem fortgeschrittenen Alter des Verurteilten eine Umstellung nicht wahrscheinlich und in Anbetracht seines bisherigen Verhaltens damit zu rechnen ist, daß er auch in Zukunft in staatsabträglicher Hinsicht in Erscheinung treten wird“.[8] Nach der Erinnerung seines Neffen Gustav Recker[9] weigerte sich Görsmann trotz Anraten seiner Verwandten, in den Ruhestand zu gehen. Er wollte bei und in seiner Gemeinde bleiben. Am 27. Juni 1941 wurde er dann wieder verhaftet, diesmal durch die Gestapo, und in sogenannte Schutzhaft genommen, das bedeutete, dass er nun ohne jeglichen rechtlichen Schutz dem Terror des SS-Staates ausgeliefert war.

Zunächst blieb er für einige Monate in Osnabrück in Haft und soll dort auch bei Aufräumungsarbeiten nach Bombenangriffen gesehen worden sein. In dieser Zeit gab es intensive Bemühungen vor allem vonseiten seiner Familie und des Osnabrücker Bischofs, ihn vor dem Konzentrationslager zu bewahren. So verzichtete Görsmann schließlich am 4. August doch auf sein Amt als Gellenbecker Pfarrer und der Bischof berief sofort Heinrich Kirchner zum Nachfolger. Aber alle diese Bemühungen halfen nichts: Am 28. September, dem Tag der Amtseinführung Kirchners in Gellenbeck, wurde Gustav Görsmann in das Konzentrationslager Dachau überstellt, wo er in einer der Priesterbaracken – in Dachau waren inhaftierte Geistliche konzentriert – leben musste. Dort begann für den Häftling Nr. 27777 eine unvorstellbare Leidenszeit. Davon zeugen die 22 Briefe an die Familie seiner Schwester Elisabeth Recker in Köln.[10]  Selbstverständlich hatten seine Briefe eine scharfe Zensur durchlaufen. Dennoch bringen sie seine elende Lage, seine Verzweiflung und seine Hoffnung auf Rettung in hoffnungsloser Situation zum Ausdruck. So heißt es in seinem letzten Brief vom 22. August 1942: „Mir geht es nicht recht gut; ich fühle mich sehr matt und schwach. Die jähen Umschläge des Wetters wirken sehr auf mich. Augenblicklich muß ich viel husten und aushusten. Wenn doch nur bald der Tag der Erlösung käme! Wie ich mich nach Befreiung sehne! Ich hoffe auf Gott und seinen Beistand ... ich bedarf unbedingt übernatürlicher Hilfe, sonst kann ch nicht bestehen und durchhalten! ... Euer armer Gustav.“ Im Sommer 1942 starben nach Augenzeugenberichten viele Häftlinge an Unterernährung. Pfarrer G. Römer, ein Leidensgenosse Görsmanns erinnerte sich 1985: „Die Tatsache, daß er im September 1942 starb, läßt mich nur vermuten (!), daß er an Entkräftung starb. Der Sommer 42 war der berüchtigte Hungersommer von Dachau, sehr regenreich und kühl, wo wir schwer arbeiten mußten bei qualitativ und quantitativ minderwertiger Ernährung, so daß die Häftlinge wie die Fliegen wegstarben, gerade auch viele Priester.“[11] Am 1. September war Gustav Görsmann so schwach, dass er sich krank melden musste. Unter den KZ-Bedingungen konnte er sich nicht mehr erholen und starb am 15. September. Im Schreiben des Konzentrationslagers an die Familie Recker heißt es dazu voller Zynismus: „Ihr Verwandter Gustav Görsmann, geb. 29. 9. 73 zu Osnabrück, meldete sich am 1. 9. 42 krank u. wurde daraufhin unter Aufnahme im Krankenbau in ärztliche Behandlung genommen. Es wurde ihm die bestmögliche medikamentöse u. pflegerische Behandlung zuteil. Trotz ärztlicher Bemühungen gelang es nicht, der Krankheit Herr zu werden. Ich spreche Ihnen zu diesem Verlust mein Beileid aus ... gez Weiß SS-Sturmbannführer“[12] Die Urne mit der Asche wurde dann im Oktober nach Gellenbeck gesandt und dort unter gewaltiger Anteilnahme der Gemeinde am 21. Oktober 1942 beigesetzt. Aber auch nun gab die Partei noch keine Ruhe. „Die Ortsgruppenleiter der NSDAP, Boelk (Natrup-Hagen) und Schwarberg (Hagen) beobachteten vom Friedhofseingang aus das Geschehen, wie ein älterer Bürger zu berichten weiß, denn niemand durfte der Arbeit in einem Rüstungsbetrieb fernbleiben. Auch Lehrer und Schüler durften nicht in der Schule fehlen, um ihrem Pastor die letzte Ehre zu geben“[13]

Das Görsmann-Denkmal von Bernhard Gewers an der Gellenbecker Schule. Foto: J. Brand

Literatur:

Genealogische Mitteilungen:

Genealogische Mitteilungen für die Familien Gösmann/Gössmann/Gößmann/Görsmann. 3. Jahrgang, Nr. 4, Biel 1985

75 Jahre Kirchengemeinde gellenbeck:

Kath. Kirchengemeinde Gellenbeck (Hrsg.): 75 Jahre Kirchengemeinde Gellenbeck 1915-1990 (Hagen a. T. W. 1990)

Hirte – Freund – Zeuge:

Kath. Kirchengemeinde Gellenbeck (Hrsg.): Gustav Görsmann. Hirte – Freund – Zeuge. Eine Biographie in Dokumenten, Selbstzeugnissen, Erinnerungen, Bildern und Würdigungen. Zusammengestellt von Johannes Brand, Josef Niemeyer, Pastor Gerhard Stenzaly, Gregor Wulftange (Hagen a. T. W. 1992)

Kemper 1966:

Kemper, Benedicta Maria: Priester vor Hitlers Tribunalen, München 1966, S. 115-116

Schimmöller 1982:

Heinrich Schimmöller: Leben und Sterben des Pfarrers Gustav Görsmann – dargestellt nach Befragung älterer Bürger der Gemeinde und aufgrund der wenigen schriftlichen Quellen im September 1982, als Manuskript vervielfältigt. Auch in: Genealogische Mitteilungen, S. 15 - 19 und Hirte – Freund – Zeuge, S. 51 - 56

 

[1] Siehe zur Ausstattung der Kirche und zum Beginn des Gemeindelebens: 75 Jahre Kirchengemeinde gellenbeck , S. 35 ff.

[2] So zum Beispiel Kemper 1966, Schimmöller 1982 aber auch die Darstellung bei Wikipedia, die offensichtlich auf der Darstellung auf der Homepage von Görsmanns Studentenverbindung Brisgovia Freiburg (2005) beruht.

[3] Artikel „Gustav Görsmann“ in de.wikipedia.org/wiki/Gustav_Görsmann  – Dieser Satz geht zurück auf die Erinnerungen von Görsmanns Neffen Gustav Recker in: Genealogische Mitteilungen S. 14

[4] Siehe zum Folgenden Hirte – Freund – Zeuge, S. 46 - 51

[5] Pfarrarchiv Gellenbeck C-002-01 – Görsmann selbst hat diese Texte als „Chronik“ bezeichnet.

[6] Hirte – Freund – Zeuge, S 51

[7] Diözesanarchiv Osnabrück  Genralia 08-07-50, Anklageschrift des Oberstaatsanwalts in Osnabrück vom 18. März 1941, auch abgedruckt in: Hirte – Freund – Zeuge, S. 58

[8] Diözesanarchiv Osnabrück  Genralia 08-07-50, Schreiben der Geheimen Staatspolizei an das Generalvikariat Osnabrück vom 8. 4. 1941, abgedruckt in: Hirte – Freund – Zeuge, S. 60

[9] Genealogische Mitteilungen S. 15, abgedruckt in: Hirte – Freund – Zeuge, S. 12

[10] Sie sind vollständig abgedruckt in: Genealogische Mitteilungen S. 19-26 und von dort auch übernommen worden in: Hirte – Freund – Zeuge, S. 67 -79

[11] Hirte – Freund – Zeuge, S. 81

[12] Genealogische Mitteilungen S. 29, abgedruckt in: Hirte – Freund – Zeuge, S. 81

[13] Schimmöller 1982 S. 18

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